01.04.2023
Wort zur Wochenwende

Es hatte sich herumgesprochen, dass Jesus nach Jerusalem kommt. Immer mehr Menschen sind neugierig. Sie wollen diesen besonderen Mann sehen. Immer mehr Menschen gehen mit ihm. Kaum haben sie das Stadttor von Jerusalem erreicht, da beginnen die Menschen zu jubeln. Sie ziehen ihre Mäntel aus und legen sie als Teppich auf den Boden. Mit Zweigen von den Bäumen wedeln sie und winken Jesu zu. Jesus zieht in Jerusalem ein wie ein König.

Schon bald darauf sitzt Jesus zusammen mit seinen Freunden. Im Haus eines Mannes, der Simon genannt wird. Über lebenswichtige Dinge wird gesprochen. Über Jesu Verhalten, über die drohende Gefahr einer Festnahme. Die Frage wird diskutiert: Was ist jetzt, unter diesen Umständen, richtig zu tun? Was ist jetzt Gottes Wille?

Eine Frau tritt in den Raum, überraschend, unangemeldet. Schon das ist ein Affront. Mitten in ein Gespräch, das über Leben und Tod, Erfolg oder Scheiter der Jesus-Bewegung entscheiden kann, platzt eine Frau. Sie ist mit wenigen Schritten bei Jesus. Streichelt seine Füße. Sie weint. Kein Wort. Sie nimmt ein mitgebrachtes Gefäß, bricht den schmalen Hals ab, richtet sich auf und gießt den Inhalt auf Haupt und Körper Jesu. Nardenöl. Königsöl. Aus Indien eingeführt. Sein Duft erfüllt den Raum. Das Feinste vom Feinesten. Diese Menge kostet ungefähr den Jahresverdienst eines Arbeiters. 30.000 Euro. Für manche die Ersparnisse eines ganzen Lebens. Nur wenige Minuten, dann sind 30.000 Euro verbraucht. Und das unter den Augen der versammelten Männergesellschaft. Aus Liebe verschwendet. Das ist mehr als eine Schlagzeile wert: „Frau verschleudert aus Liebe Vermögen in 5 Minuten.“

Und dann wird es laut: „ Eine Frau!“ So eine Frau!“ „Geldverschwendung!“ „Wie kannst du das zulassen?“ – „Und die Armen hungern!“ „Du machst uns unglaubwürdig, und uns mit!“ Das waren ihre Sorgen. Sie hatten zusammengesessen und nach dem Willen Gottes gefragt – und überlegt, was das richtige sei. Und dann war sie gekommen und hatte für ein Jahresgehalt Luxusöl über ihn ausgegossen und dabei geweint.

„Lasst sie“ sagt Jesus. „Lasst sie in Frieden. Es war für meine Beerdigung. Und: „Wo immer das Evangelium gepredigt wird in aller Welt, wird man sich an sie erinnern und an das, was sie an mitgetan hat.“

Die Zärtlichkeit dieser Frau, ihre wortlose Liebe, ihre Tränen wie ihr Öl ist die letzte spürbare Dankbarkeit eines Menschen vor Jesu Tod. Ein letztes Atemholen für Seele und Körper. Die letzte Geste der Liebe für den, dessen Liebe so grenzenlos war. Danach hat ihn die Männerwelt wieder. Bis sie dann wieder unter dem Kreuz stehen, Maria aus Magdala, Maria, die Mutter des Jakobus, Salomone. Frauen die ihm nachgefolgt waren.

Die Männer, die vorher so Wichtiges zu besprechen hatten, bei dem eine Frau nur störte, waren zu diesem Zeitpunkt längst auseinandergelaufen, hatten versagt, ihren eigenen Kopf gerettet. Unter dem Kreuz standen nur Frauen.

Wer immer einen lieben Menschen verloren hat und darunter leidet, dass er ihn nicht noch einmal etwas Liebes gesagt hat, wer immer es beklagt, in der Sterbestunde nicht dabei gewesen zu sein, wer immer meint, an einem Verstorbenen noch etwas versäumt zu haben, was ihm gutgetan hätte, versteht diese Frau aus Betanien.

Was gäbe ich darum, wenn ich ihm noch sagen könnte, dass ich ihm alles verziehen habe! Was gäbe ich darum, wenn ich noch ihre Hand hätte halten können, bis in den Tod! Was gäbe ich darum, wenn ich ihm durch meine Liebe das Sterben hätte erleichtern können!

Was gäbe ich darum... Mehr als ein Jahresgehalt.

Einen gesegneten Sonntag wünscht

Pfarrerin Carmen Ehrlichmann aus Remda.