13.05.2023
Gedanken zur Woche - Beten verbindet

Ich bete, du betest, der Vater betet für sein krankes Kind, sie betet um das Gelingen der Schwangerschaft, es betet vor der Klassenarbeit.

Wir beten für den Frieden, ihr betet für die Not der Welt, sie beten um eine gelingende Zukunft.

Alle beten. Darf man Menschen, die sich selber als Atheisten verstehen, fragen, wann sie zuletzt gebetet haben? Und würde einen die Antwort überraschen?

Alle Religionen kennen das Gebet. Ob die Reisbauern in Vietnam, Christen auf der ganzen Welt, die Mönche in Tibet, die Menschen an der Klagemauer in Jerusalem und die Menschen auf dem Tempelberg. Menschen beten. Für uns als Christen ist das Gebet eine feste Stütze des Glaubens.

Aber was ist Beten? Bete ich schon, wenn ich in Gedanken Gott um Hilfe bitte?

Hinter dem Gebet steht das Vertrauen, dass es etwas gibt, dass mich als Mensch sieht und begleitet. Dabei geht es nicht um Wissen, sondern um die Überwindung des Misstrauens, dass ich dieser Welt schutzlos allein ausgeliefert bin. Es geht um die Öffnung meines Herzens mit all dem, was ich fühle und wünsche, wo ich aufgehoben und angenommen bin. Mein Gebet ist nicht der Befehl an Gott, die Dinge so zu regeln, wie ich es will. Es ist das Gespräch meines Herzens mit dem, was wir Christen Gott nennen. Beten verändert zuerst mich. Es richtet mich neu aus. Es nimmt mich aus dem Zwang, mich selbst als Maßstab aller Dinge zu sehen. Im Gebet wandern meine Gedanken zu denen, die mir wichtig sind, zu den Anliegen, die mir am Herzen liegen. Menschen, die für den Frieden, für die Beendigung des Krieges beten, befreien sich vom Hass und vom Weg der Gewalt. Im Gespräch meines Herzens vor Gott entdecke ich neue Wege.

Mir begegnen immer wieder Menschen, die eigentlich nicht an Gott glauben. Ein junger Mann erzählte mir, dass er nicht an Gott glaube. Aber er ging, wenn er Rat brauchte auf den Friedhof und redete mit seinem Großvater, der dort begraben war. Als ich ihn fragte, was er dächte, wo sein Großvater nun sei, sagte er wie selbstverständlich „im Himmel“. Er vertraue darauf, dass dieser ihn höre. Beten ist etwas ganz Intimes. Es fällt uns schwer, Worte zu finden, um das Unbeschreibbare zu beschreiben. Die unbeschreibliche Wirklichkeit, die uns umgibt, ist etwas Verletzliches und gleichzeitig Wunderbares, mit dem wir bewusst, oder unbewusst verbunden sind.

Beten braucht keinen Ort, oder Anlass. Aber es gibt Orte, wo es uns leichter fällt, zu beten. Friedhöfe, wo wir uns den Menschen, die vor uns auf dem Weg sind, nahe fühlen. Kirchen, die besondere Orte der Gebete sind. Deren Mauern so viele Gebete schon gehört haben.

Am Sonntag Rogate, den wir nun feiern, erzählt die Bibel Geschichten von Gott, der uns hört. „Gelobt sei Gott, der mein Gebet nicht verwirft noch seine Güte von mir wendet.“ Diese Worte beten Menschen seit mehr als 2500 Jahren. Menschen wie sie und ich.

Manchmal, wenn ich auf der Straße gehe und Menschen begegne, frage ich mich, wofür betet dieser Mann, diese Frau, dieser Mensch. Worüber freuen sie sich, was macht ihnen Sorgen? Das bringt mich ihnen näher, macht aus Menschen Mitmenschen.

Beten verbindet. Ob Sie nun an Gott glauben wie ich, ob Sie ihn anders nennen oder ob Sie es nicht beschreiben wollen, vertrauen wir doch dem Gespräch unsres Herzens. Der Wirklichkeit dessen, was uns so schwer in Worte zu fassen scheint.

Michael Wegner