01.10.2022
Erntedank 2022

Brich dem Hungrigen dein Brot, und die im Elend ohne Obdach sind, führe ins Haus! Wenn du einen nackt siehst, so kleide ihn, und entzieh dich nicht deinem eigenen Fleisch und Blut! Dann wird dein Licht hervorbrechen wie die Morgenröte, und deine Heilung wird schnell voranschreiten. Jesaja 58, 7+8


Liebe Leserin, lieber Leser,
in meinem Dorf gibt es einen Fischteich. Genauso einen wie in vielen unserer Dörfer. Der Angelverein kümmert sich liebevoll um Pflege und Nachzucht. Erntedank wird „abgefischt“. Meist sind es die Männer, die bis an die Brust im Wasser stehen und ein großes Netz durch den Teich ziehen.

Der Angelverein ist eine bunte Mischung aus Christen und Nichtchristen. „Wir danken den Karpfen, dass sie uns ernähren!“ So sagen die einen. Die anderen sagen: “Eure Vorväter haben noch dem Schöpfer gedankt, dass er ihnen die Karpfen hat wachsen lassen zu ihrer Nahrung!“

Das vergangene Erntejahr hat uns in aller Deutlichkeit gezeigt, wie wenig wir als Menschen tun können. Es zeigt sich auch immer mehr, was wir als Gesellschaften in der Vergangenheit falsch gemacht haben. Die Natur zu bändigen war das erklärte gesellschaftliche Ziel in den Tagen meiner Kindheit. Der Mensch ist das Maß aller Dinge. Das wäre richtig, wenn ich damit aber nicht mich selbst, sondern meinen Mitmenschen meine.

Der Erntedank will uns in diesem Jahr nicht so recht über die Lippen kommen. Nach der langen Dürre, dem Wassermangel und teilweisen Ernteausfällen, sind wir ratlos, wofür wir eigentlich danken sollen. Die Lebensmittelpreise erklimmen immer neue Höhen. „Danke für Nichts“ ist ein beliebter Aufdruck auf den T-Shirts der jungen Generation. Gemeint ist allerdings nicht die Ernte, sondern ich bin gemeint, der sich nun schon etwas länger den Älteren zurechnet und dem der Zustand der Welt angerechnet wird.

Ich fühle mich verletzt und ungerecht behandelt. Haben doch unsere Väter und Mütter dieses Land aufgebaut mit ihrer Hände Arbeit. Der Wohlstand, den wir heute haben, ist oft hart erarbeitet. Oft auch zu Lasten von Mensch und Natur.

„Danke für Nichts“ ist eine Gedankenlosigkeit.
Den eigenen Reichtum nicht zu erkennen, macht arm.
Die Armen, die von Hunger bedroht sind, sind weit weg in fernen Ländern. Diese Menschen sind es, die unter Not und Krieg leiden. Es ist ein Unterschied, ob ich und meine Familie sich wegen der Kriegsfolgen einschränken, oder ob wir unter Bomben leben und unsere Kinder zu Soldaten werden müssen. Die Leidenden in fernen Ländern, genau wie die Menschen in unserem Land, die mit echten Sorgen der kommenden Zeit entgegensehen, brauchen mehr Aufmerksamkeit. Nicht nur von den Regierenden. Sondern von mir und Ihnen. „Brich dem Hungrigen dein Brot…“ Erntedank zeigt mir, dass Gott mir so viel schenkt, dass ich Mittel habe, auch weiter zu schenken. Es gibt immer Menschen, die weniger haben als ich.

Michael Wegner
- Superintendent -